Die neuen, transformativen Verträge, über die sich der akademische Verlagsmarkt derzeit auf Open Access umstellt, verändern das Erwerbungs- und Lizenzierungsgeschäft von wissenschaftlichen Bibliotheken.

Die Bewertung von Verlagsangeboten und Vertragsmodellen erfordert neue Kriterien, vor allem aber müssen Budgets neu kalkuliert, organisiert und zugewiesen werden. Der DEAL-Praxis-Workshop „Erwerbung neu denken“ nahm am 13. Juli Erwerbungsstrategien, Mittelbedarfsanalysen und Etatverteilmodelle genauer unter die Lupe und präsentierte vor dem Hintergrund des neuen Open Access-Paradigmas Praxis-Ansätze aus vier Einrichtungen.


Open Access-Erwerbung an wissenschaftlichen Bibliotheken – ein Stimmungsbild

Rund 300 Bibliothekar*innen registrierten sich für den virtuellen Workshop. Um ein allgemeines Stimmungsbild zu zeichnen, führten wir unter den angemeldeten Teilnehmer*innen im Vorfeld der Veranstaltung eine Kurzumfrage durch. Gefragt wurde, wie die Erwerbung an den Bibliotheken grundsätzlich organisiert ist und inwieweit Open Access in die jeweilige Erwerbungsstrategie integriert ist. Etwa 100 Personen nahmen an der anonymen Umfrage teil, mehrheitlich repräsentierten sie Bibliotheken an Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Fast 80% von ihnen gaben an, in der einen oder anderen Form Erwerbungsgrundsätze formuliert und kommuniziert zu haben und außerdem über einen zentral verwalteten Erwerbungsetat zu verfügen.

In Bezug auf Open Access bestätigten fast alle Antwortenden, an ihrer Einrichtung Publikationskosten zu finanzieren: über 90% nannten hier z. B. die DEAL-Verträge und mehr als die Hälfte betreiben einen Publikationsfond oder haben Rahmenvereinbarungen mit Open Access-Anbietern abgeschlossen. Ein gutes Drittel der Befragten plant außerdem eine vollständige Integration der OA-Finanzierung in den Erwerbungsetat oder hat diese bereits realisiert. 

Eine Zusammenfassung der Umfrageergebnisse sehen Sie in der Auftaktpräsentation.


Open Access als integraler Bestandteil der Erwerbung – Irene Barbers, FZ Jülich

Den Auftakt der Veranstaltung machte eine Präsentation von Irene Barbers von der Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich, eine Einrichtung der Helmholtz-Gemeinschaft. Die Zentralbibliothek folgt in ihrer Erwerbungspolitik der Open-Access-Strategie des Forschungszentrums. Ihre Aufgabe lautet entsprechend „die Transformation von Subskriptionszeitschriften in den Open Access zu fördern und die Ausgaben für Subskriptionszeitschriften so zu steuern, dass ausreichend Mittel für Gold- Open-Access-Publikationsgebühren (Article Processing Charges, APCs) zur Verfügung stehen“. Voraussetzung für diese Steuerung ist nicht nur eine vollständige Integration der Open Access-Finanzierung in das Erwerbungsbudget, sondern auch ein möglichst umfassendes Monitoring der Jülicher Publikationsaktivitäten und der damit verbundenen Kosten.

Aus diesem Grund erfasst die Jülicher Zentralbibliothek die Publikationen der Einrichtung seit vielen Jahren nahezu vollständig, inklusive aller damit zusammenhängenden Gebühren. Das betrifft nicht nur Kosten, die die Bibliothek aus ihrem Etat bestreitet, wie zum Beispiel die Ausgaben für Transformationsverträge oder für Article Processing Charges (APC) der Gold-Zeitschriften, sondern auch jene Gebühren, die außerhalb der Bibliothek, etwa aus den Forschungsmitteln der Jülicher Institute, verausgabt werden. Hierzu zählen Gebühren für hybrides Open Access ohne Transformationsvertrag und weitere Publikationsgebühren des „closed access“ wie Einreichungsgebühren oder Kosten für Farbabbildungen.

In die Wirtschaftlichkeitsprüfung und Produktbewertung der Bibliothek fließen die Informationen über das Jülicher Publikationsaufkommen und die damit zusammenhängenden Zahlungsströme an die Verlage ebenso mit ein wie Nutzungsstatistiken (z. B. nach COUNTER) oder Kennzahlen bezüglich Dokumentenbestellungen. Die Erwerbungsstrategie sieht vor, dass das Budget zugunsten von Open Access umgeschichtet wird. Große Subskriptionsverträge werden deshalb nicht mehr abgeschlossen, stattdessen wird das Portfolio auf wesentliche Kernzeitschriften reduziert. Dabei wurde festgestellt, dass sich im Falle von Zeitschriften-Abbestellungen (oder Nicht-Erneuerungen) je nach Verlag nur 2% bis 10% der zuvor beobachteten Artikel-Downloads in Dokumentenbestellungen der Nutzer*innen niederschlagen.

Auf Grundlage des umfassenden Publikations- und Kosten-Monitoring entwickelte die Zentralbibliothek des FZ Jülich das sogenannte Open Access-Barometer. Das Barometer ist ein Set von grafischen Ansichten, die die Ausgaben und Jülicher Publikationszahlen für die wichtigsten Verlage (nach Umsatz und Publikationszahl) dokumentiert, wobei für jeden Verlag die durchschnittlichen Ausgaben je Corresponding-Author-Publikation sowie die Verteilung der Ausgabenarten veranschaulicht werden. Einer Zeitreihe seit 2016 zeigt außerdem die relative Entwicklung der Ausgabenarten. Das integrierte Budget sowie das zentrale Monitoring mithilfe des Barometers bieten den Jülicher*innen eine gesicherte Datengrundlage für Lizenzverhandlungen und Portfoliomanagement, wodurch sie für die Herausforderungen der Open Access-Transformation gut gerüstet sind.


Bedarfsermittlung in der OA Transformation: Erstellung einer Transformationsanalyse – Lea Satzinger, ThULB Jena

Lea Satzinger von der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB) zeigte im zweiten Workshop-Beitrag wie sich der Mittelbedarf bestimmen lässt, mit dem eine Einrichtung nach dem Open Access-Umstieg bei einem jeweiligen Verlag und insgesamt voraussichtlich rechnen kann. Die Transformationsanalyse wurde für die ThULB für die 26 größten Verlage im Bereich STM sowie für einige weitere kleinere Verlage durchgeführt und folgte einem 3-stufigen Verfahren:

  • Analyse der Publikationskennzahlen mithilfe von Web of Science und Scopus, und im Vergleich dazu eine Analyse über den Open Access Monitor. Eine Kombination der Datenquellen Web of Science, Scopus und Unpaywall lieferte das umfassendste Ergebnis. Die Friedrich-Schiller-Universität Jena und das dazugehörige Universitätsklinikum veröffentlichen jährlich im Schnitt 1.400 Publikationen, davon ca. 20% im goldenen Open Access und, was anhand der Unpaywall-Daten ermittelt werden konnte, über 10% im hybriden Open Access. 85% des Publikationsaufkommens verteilt sich auf die 26 größten STM-Verlage mit Anteilen zwischen 0,1% und bis zu über 20%.

  • Bestimmung der durchschnittlichen Artikelgebühren auf der Grundlage von Verlagsangaben zu Listpreisen und Rabatten sowie von Open APC. Für Gold Open Access-Publikationen wurde so ein durchschnittlicher Preis pro Publikation von 1.986 EUR netto zugrunde gelegt. Für alle weiteren Verlage wurde entweder der Listpreis für Hybrid-OA herangezogen oder, falls dieser nicht bekannt ist, entsprechend der DEAL-Publikationskosten eine Gebühr von 2.900 EUR veranschlagt.

  • Berechnung des Mittelbedarfs für ein rein Publikationskosten-basiertes Modell: Im dritten Schritt konnte auf Grundlage der Publikationszahlen und Durchschnittspreise der voraussichtliche Mittelbedarf der ThULB berechnet werden. Die Kalkulation ergab einen Mittelbedarf für Publikationsgebühren in einer Größenordnung von 3,8 Mio Euro für den Fall, dass alle Jenaer Publikationen bei den jeweiligen Verlagen im Open Access finanziert würden. Für eine mittelfristige Ausgabenplanung wurde für die kommenden Jahre mit einem Zuwachs von ca. 30 Publikationen pro Jahr gerechnet sowie mögliche Preissteigerungen bei den Artikelgebühren angenommen.

Das Verfahren hat sich an der ThULB bewährt. Auch wenn im Bereich der Publikationsanalysen, z. B. bei der Autorenzuordnung, mit einigen Unschärfen kalkuliert werden musste und die geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer getrennt zu betrachten sind, erwiesen sich die ermittelten Kennzahlen letztlich als belastbar.


Unbegrenzte Information mit begrenzten Mitteln – Karoline Bove, SLUB

Karoline Bove von der Abteilung Bestandsentwicklung an der Karoline Bove von der Abteilung Bestandsentwicklung an der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) reflektierte in ihrer Präsentation über das Thema „Verteilungsgerechtigkeit“ in der bibliothekarischen Erwerbung. Die Bibliothek verteilt nur noch ca. 25% ihrer Erwerbungsmittel nach einem definierten Fächerschlüssel, und dies betrifft hauptsächlich den Monographien-Erwerb. Das restliche Budget für Datenbanken, elektronische und gedruckte Zeitschriften und Open Access-Publikationsfonds wird als so genannter Vorabzug ohne Verteilungsschlüssel verausgabt. Während der Vorabzug mehr Flexibilität erlaubt und dafür sorgt, dass die Open Access-Ausgaben selbstverständlich in die Bibliothekserwerbung integriert werden, wirf diese Vorgehensweise auf der anderen Seite auch Fragen auf, z. B. nach der Art der finanzierten Open Access-Produkte (z. B. Mitgliedschaftsmodelle vs. APC-Modelle) oder nach den Kriterien einer gerechten Verteilung im Falle von Mittelknappheit.

Die Finanzierung des Open Access-Publizierens erfolgt in der Regel nach dem Verursacherprinzip: wer publiziert, nimmt Mittel in Anspruch. Vor dem Hintergrund der Anforderung an eine „gerechte“ Verteilung der Mittel stößt dieses Prinzip, so Karoline Bove, jedoch auch an Grenzen. Wie geht man zum Beispiel damit um, dass die Publikationsgebühren je nach Disziplin und Publikationskultur unterschiedlich hoch ausfallen? Kann die Mittelverteilung steuern, dass sich die Open Access-Anteile in allen Disziplinen erhöhen? Wie kann eine Abgrenzung zwischen den Instituten der Einrichtung vorgenommen werden, wenn zum Beispiel Transformationsverträge fächerübergreifend genutzt werden? Kann die Bibliothek über ihre Erwerbungspolitik mehr Vielfalt am Verlagsmarkt befördern?

Von diesen Überlegungen ausgehend entwickelte die Bibliothek einen Bewertungsrahmen für Open Access-Angebote, z. B. für Transformationsverträge und Mitgliedschaftsmodelle. Folgende Kriterien spielen dabei eine Rolle:

  • Fachliche Relevanz – Wie häufig wurde in den vergangenen Jahren bei einem Anbieter publiziert? Wie bewerteten das Fachreferat und der Fachbereich den Anbieter? Werden die Zeitschriften des Verlags an der Einrichtung zitiert? Welchen Qualitätssicherungsstandards folgt der Verlag (z. B. Begutachtungsprozesse, Peer Review)?

  • Transformationsabsicht – In wie vielen Zeitschriften des Verlags ist das Open Access-Publizieren möglich? Wie hoch sind die Open Access-Publikationsanteile in den einzelnen Zeitschriften? Wie ist die generelle Lizenzpolitik des Anbieters?

  • Kostentransparenz – Wie verteilen sich die Vertragskosten in Publish-And-Read-Verträgen? Wie begründet sich die Höhe der Publikationsgebühren und wie hoch sind sie im Durchschnitt?

  • Kostenprognose – Wie kann die zukünftige Ausgabenentwicklung bei dem Verlag unter Berücksichtigung des Publikationsaufkommens aus der Einrichtung und weiterer Kriterien abgeschätzt werden?

  • Wirtschaftlichkeit – Lässt sich das Angebot in der Summe der bewerteten Kriterien wirtschaftlich abbilden?

Diese Kriterien haben sich als hilfreiches Instrument für die Erwerbungsarbeit an der SLUB etabliert.


Effizienter Mitteleinsatz durch fachübergreifende Budgets – Tobias Pohlmann, UB Kassel

In dem letzten Beitrag der Veranstaltung zeigte Tobias Pohlmann von der Universitätsbibliothek Kassel die Vorteile der Einführung eines fächerübergreifenden Budgets auf und wie sich dadurch Freiräume für die Erwerbung insgesamt und für die Unterstützung der Open Access-Zielsetzung der Universität schaffen lassen. Noch bis 2018 verteilte die UB Kassel ihre Mittel nach dem Bayrischen Etatmodell. Disziplinübergreifende Verlagsangebote und Preissteigerungen bei elektronischen Zeitschriftenpaketen erforderten jedoch Jahr für Jahr einen größeren Vorwegabzug vom zu verteilenden Budget, wovon insbesondere die Natur- und Ingenieurswissenschaften profitierten. Gleichzeitig hat sich die Universität Kassel schon früh dem Open Access verpflichtet, und möchte seit 2016 mit der Unterzeichnung der Expression of Interest der Initiative OA2020 insbesondere die Transformation des Zeitschriftenmarktes unterstützen. Seit 2013 betreibt die UB einen Open Access-Publikationsfonds und strebt an, die Finanzierung von Open Access-Publikationsgebühren für die Kasseler Wissenschaftler*innen zukünftig nachhaltig sicherzustellen.

Um den veränderten Anforderungen besser gerecht zu werden, wurde die Mittelverteilung nach dem Bayrischen Etatmodell in 2019 zugunsten von fächerübergreifenden Budgets aufgegeben. Fachspezifisch werden die Mittel seitdem nur noch im Bereich Monografien zugewiesen, wobei auch hier ein zentraler Anteil für den Kauf von interdisziplinären E-Books und Patron Driven Aquisition vorgesehen ist. Anstelle von 30 einzelnen Fachbudgets und des Vorabzugs erwirbt die UB Kassel elektronische Zeitschriften und Datenbanken nun aus einem zentralen Budget. Gerade im Bereich des Zeitschriftenerwerbs, der in der Regel die größten Anteile der Budgets von wissenschaftlichen Bibliotheken fordert, ermöglicht der zentrale Ansatz nun ein effizienteres Portfoliomanagement nach einheitlichen Kriterien. Dazu analysiert die UB vor allem Nutzungsstatistiken und ermittelt auf dieser Grundlage Kennzahlen zu den Kosten pro Nutzung eines jeweiligen Produktes („Cost per download“). So können für das gesamte Portfolio Einsparpotenziale ermittelt werden, die dann eintreten, wenn Produkte, die eine bestimmten, zuvor festgelegten Cost per download-Wert überschreiten, abbestellt werden. Das Verfahren schafft mehr Transparenz in der Mittelverteilung. Abbestellungen lassen sich wirtschaftlich begründen und können von den Fachvertreter*innen der Universität besser nachvollzogen werden, was in Kassel zu mehr Akzeptanz für die Erwerbungsentscheidungen geführt hat. Das neue Modell schafft letztlich mehr Spielräume nicht nur für die Erwerbung neuer Produkte, sondern auch für die Umschichtung von Subskriptionsmitteln hin zu Open Access.

 

Literatur